Anita Fetz Medien Echo.  
1998 «Eine Mutterschaftsversicherung würde die Wirtschaft entlasten»
Unternehmerin Anita Fetz über die Mutterschaftsvorlage und die Zukunft der Sozialwerke
Sybille Oetliker und Marianne Noser in CASH vom 25. September 1998

«Eine Mutterschaftsversicherung würde die Wirtschaft entlasten»
Unternehmerin Anita Fetz über die Mutterschaftsvorlage und die Zukunft der Sozialwerke
Moderne Unternehmen bieten ihren Mitarbeiterinnen längst Mutterschaftsleistungen an, die weit über das heute geltende gesetzliche Mindestmass hinausgehen. Das Parlament aber tut sich schwer mit der Einführung einer Mutterschaftsversicherung in der Schweiz. Warum diese Diskrepanz? CASH sprach darüber mit der Basler Unternehmerin Anita Fetz.
CASH: Was bedeutet Ihnen Geld, Frau Fetz?
Anita Fetz: Unabhängigkeit. Und es ermöglicht mir, den Menschen, die ich gerne habe, auch mal materiell etwas Gutes zu tun sowie Projekte zu unterstützen, die ich gut finde.
CASH: Geld wird in der Anfang Oktober stattfindenden Nationalratsdebatte über die Einführung einer Mutterschaftsversicherung in der Schweiz eine zentrale Rolle spielen. Gegner der Vorlage argumentieren vor allem finanzpolitisch.
Fetz: Die meisten modernen Unternehmen in der Schweiz haben heute Mutterschaftsleistungen, die dem internationalen Vergleich standhalten. Deshalb bin ich oft erstaunt darüber, wie harzig die politische Diskussion über die Einführung der Mutterschaftsversicherung verläuft. Praktisch alle Gesamtarbeitsverträge und andere arbeitsrechtliche Regelungen sehen heute Mutterschaftsleistungen vor.
CASH: Einigermassen gute Anstellungsbedingungen gehören bei vielen Unternehmen zum guten Ton.
Fetz: Es kann sich heute niemand mehr einer gewissen gesellschaftlichen Verantwortung entziehen. Ein modernes Unternehmen ist auf qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angewiesen. Viele Erwerbs tätige, die eine Familie haben, möchten sowohl ihre Rolle im Beruf als auch diejenige als Elternteil erfüllen. Will eine Firma diese Arbeitskräfte behalten, muss sie etwas für sie tun. Eine Mutterschaftsversicherung von 14 bis 16 Wochen ist das Minimum, das ein fortschrittliches Unternehmen anbieten kann. Noch besser wäre ein Elternurlaub.
CASH: Das allein genügt aber nicht.
Fetz: Möglichkeiten zur Teilzeitarbeit auch in Kaderpositionen und ein Angebot von Betreuungsplätzen für Kinder sind genau so wichtig. Vor allem bei jüngeren, gut qualifizierten Angestellten spielen partnerschaftliche Überlegungen zunehmend eine wichtige Rolle. Immer weniger Frauen sind bereit, für eine Familie ihre Berufskarriere zu unterbrechen oder ganz abzubrechen. Und sie sind immer weniger bereit, einen Partner zu akzeptieren, der nicht eine angemessene Unterstützung bei der Kindererziehung bietet. Deswegen kommen auch immer mehr Männer in die Situation, dass sie flexibel arbeiten müssen.
CASH: Kommen wir zurück zur Mutterschaftsversicherung. Viele Bürgerliche und die Wirtschaft kämpfen teils vehement dagegen an.
Fetz: Dabei würde die Wirtschaft mit einer Mutterschaftsversicherung finanziell entlastet. Diejenigen, die im Namen der Wirtschaft am lautesten gegen die Mutterschaftsvorlage schreien, tragen meist selber keine unternehmerische Verantwortung. Es sind Verbandsfunktionäre, die nicht wirklich Einblick in den wirtschaftlichen Alltag haben. Sonst wüssten sie, dass eine obligatorische Mutterschaftsversicherung vor allem für kleine und mittlere Unternehmen eine deutliche finanzielle Entlastung bringt, weil die Kosten viel gerechter auf alle Akteure verteilt werden. Heute sind diejenigen Unternehmen, die fortschrittliche Leistungen anbieten, und Unternehmen, die viele Frauen beschäftigen, de facto diskriminiert.
CASH: Das erklärt die Emotionalität der Diskussion nicht.
Fetz: Es wird vor allem ein ideologischer Kampf geführt. Die Mutterschaftsversicherung ist zum Symbol dafür geworden, dass man die Sozialausgaben nicht mehr ausbauen darf. Es ist einfach, diese Vorlage dafür zu missbrauchen, denn von der Mutterschaftsversicherung profitieren vor allem Frauen und kleine Unternehmen, weniger grosse Firmen und nur indirekt die Männer. Vielleicht sollte man den Diskurs umkehren und über die Folgekosten der vaterlosen Gesellschaft reden. Es ist bekannt, dass die zunehmende Gewalt und Aggression der männlichen Jugendlichen in unserer Gesellschaft vor allem mit der arbeitsbedingten Dauerabwesenheit der Väter zu tun hat.
CASH: Die Opposition erklären Sie sich also weitgehend mit ideologischen Argumenten.
Fetz: Sonst macht sie keinen Sinn. Mit rationalen, ökonomischen Überlegungen hat dieser Widerstand jedenfalls nichts zu tun. Hingegen hat er wohl auch damit zu tun, dass hier versucht wird, eine Frauenrolle zu verteidigen, die es heute kaum mehr gibt: das Bild der Mutter nämlich, die zu Hause bleiben und sich ganz ihrer Familie widmen kann. Solch ein Lebenskonzept ist heute aus finanziellen Gründen praktisch nicht mehr denkbar.
CASH: Anspruch auf Mutterschaftsversicherung sollten ursprünglich nur die erwerbstätigen Mütter haben. Nun sollen aber auch nicht erwerbstätige Frauen in den Genuss der Leistungen kommen.
Fetz: Im Prinzip sollte es sich um eine Versicherung handeln, die den Erwerbsausfall kurz vor und nach der Geburt absichert, und nicht um eine «Geburtsprämie». Vorlagen werden aber immer mit Zugeständnissen politisch mehrheitsfähig gemacht. Durch die Berücksichtigung aller Mütter wird diese Vorlage bei der CVP mehrheitsfähig.
CASH: Weil damit Familienpolitik gemacht wird...
Fetz: ...schade nur, dass die gleichen Kreise sich sonst viel zu wenig dafür einsetzen, die Strukturen so zu ändern, dass man gleichzeitig Familie haben und berufstätig sein kann. Wir haben viel zu wenig ausser familiäre Betreuungsmöglichkeiten für Kinder, und in unserem föderalistischen Gebilde gibt es die unmöglichsten und unterschiedlichsten Stundenpläne in Schulen und Kindergärten.
CASH: Die Mutterschaftsversicherung wird heute von bürgerlicher Seite als unzulässiger Ausbau des Sozialstaates angeprangert - eines Sozialstaates, den wir uns eh bald nicht mehr leisten könnten.
Fetz: Die Mutterschaftsversicherung können wir uns ganz sicher leisten, vor allem auch, wenn wir sie über die Erwerbsersatzordnung (EO) finanzieren, die sehr gut dotiert ist. Wenn Männer für den Erwerbsausfall während des Militärdienstes bezahlt werden, ist es nur gerecht, dass den Frauen während der ersten Wochen ihrer Mutterschaft der Erwerbsausfall auch finanziert wird.
CASH: Die Erwerbsersatzordnung ist nur eine kurzfristige Finanzierungsmöglichkeit, später braucht es sicher auch noch Mehrwertsteuerprozente.
Fetz: Trotzdem kann ich nicht akzeptieren, dass an der Mutterschaftsversicherung, die man seit 50 Jahren einführen sollte, nun ein Exempel statuiert wird. Man darf sie nicht dazu benutzen, all die brisanten Fragen der Finanzierung der sozialen Sicherheit zu thematisieren. Die wirtschaftliche Entwicklung wird hier auch eine zentrale Rolle spielen. Je nach Wirtschaftswachstum wird die Situation für die Sozialwerke im nächsten Jahrtausend mehr oder weniger schlecht aus sehen. Kommt dazu, dass alle Prognosen darauf hindeuten, dass sich die Situation nach dem Jahr 2025 wahrscheinlich deutlich verbessern wird. Man müss te also zur Kenntnis nehmen, dass wir zwar eine Finanzierungslücke haben, nicht aber eine generelle Unfinanzierbarkeit der Sozialwerke.
CASH: Die Finanzierungslücke erklärt sich weitgehend mit der demographischen Entwicklung. Zu we nig Junge müssen für zu viele Alte aufkommen.
Fetz: Die Finanzierungslücke hängt unter anderem damit zusammen, dass wir in der Vergangenheit keine Mutterschaftsversicherung hatten. Sie hat auch damit zu tun, dass die Arbeitswelt zu wenig Möglichkeiten bietet, Familien- und Berufsleben gut miteinander zu verbinden. Die Geburtenraten in industrialisierten Ländern hängen sehr eng mit der wirtschaftlichen und sozialen Emanzipation der Frauen zusammen. Sie steigen dort, wo gute Unterstützungssysteme da sind, und sie sinken dort, wo diese fehlen. Die Schweiz liegt im europäischen Vergleich am Ende.
CASH: Damit erklären Sie die Ursachen des Problems, lösen aber die Finanzierungsfrage nicht. Konkret wird sich wohl oder übel einmal die Frage stellen, ob Leistungen gekürzt werden oder ob man neue Finanzierungsquellen findet.
Fetz: Für mich steht ganz klar die ökologische Steuerreform im Vordergrund. Damit nimmt man den Rationalisierungsdruck weg von der menschlichen Arbeit und verlagert ihn hin zu den nicht erneuerbaren Ressourcen. So wird die Arbeit billiger. Man schafft somit mehr Arbeit und gibt Anreize, den Umgang mit Energie zu rationalisieren. Dass derartige Problemlösungen machbar sind, zeigt das Basler Energiegesetz. Mit der Umsetzung von Ökoeffizienzstrategien könnte man beispielsweise Zehntausende von Arbeitsplätzen schaffen.
CASH: Diese Argumente sind seit Jahren bekannt. Trotzdem passiert wenig. Offenbar kommt die Botschaft nicht an.
Fetz: Das hat damit zu tun, dass man in der Schweiz viel zu zaghaft an die Dinge herangeht. Wir gehen immer eine Politik der kleinen Schritte, diskutieren jahrelang über die Einführung eines CO2-Gesetzes oder von Mini-Lenkungsabgaben. Wir müssten neue Wege der Problemlösung finden. Politik und die direkt Betroffenen müssten zusammen eine klare Strategie entwickeln, wie der ökologische Um bau gestaltet werden könnte. Die Politik der kleinen Schritte, die sich in unserem Konkordanzsystem über Jahrzehnte eingebürgert hat, ist nicht mehr zeitgemäss.
CASH: Sie entspricht aber einer langen Tradition.
Fetz: Es sind mit der Zeit aber auch viele institutionelle Hindernisse gewachsen, die heute schnelles Handeln erschweren. Das Vernehmlassungsverfahren beispielsweise ist veraltet und müsste abgeschafft werden, denn damit wird letztlich nur Zeit verloren. Es verhindert eine effiziente Problemlösung und kann heute nicht mal mehr Referenden verhindern. Es braucht mehr Mut in der Politik, Entscheide zu fällen und sie in einer Volksabstimmung direkt dem Volk vorzulegen.
Die politische Unternehmerin

Die Baslerin Anita Fetz, 41, ist Gründerin und Mitinhaberin der Unternehmensberatungsfirma femmedia ChangeAssist. Die Firma beschäftigt acht Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ist vor allem im Bereich Personalentwickung und in Change- Management-Projekten tätig. Als jüngstes Mitglied des Parlaments machte die 28-jährige Poch- Nationalrätin zwischen 1985 und 1990 von sich reden. Seit 1997 ist sie politisch wieder aktiv, jetzt im Basler Grossen Rat. Wird sie im kommenden Februar von ihrer Partei nominiert, hat Fetz gute Chancen, 1999 als SP-Nationalrätin auf die nationale Politbühne zurückzukehren. Anita Fetz ist Mitglied des Bankrates der Basler Kantonalbank, Vizepräsidentin der Wirtschaftsfrauen beider Basel und Präsidentin von Catapulta, einem Impulsprogramm für Neuunternehmerinnen.

Anita Fetz zu Stichworten

Kantonsklausel: Abschaffen.
Steuererlass IOK: Ich glaube nicht, dass man damit die Olympischen Spiele in die Schweiz holt.
Bundestagswahl: Ich hoffe auf eine rotgrüne Mehrheit.
Orbit: Nach zwei Stunden war ich total k.o.
Rainer E. Gut: Dass er den Share holder Value optimieren kann, hat er bewiesen. Jetzt könnte er als Nestlé-Verwaltungsrat zeigen, was mit einer ethischen und ökologischen Unternehmensstrategie alles möglich ist.
FloJo (Florence Griffith Joyner): Mir werden ihre Fingernägel in einmaliger Erinnerung bleiben.

Die Mutterschaftsversicherung - eine 53-jährige politische Leidensgeschichte

Eigentlich hätte die Mutterschaftsversicherung in der Schweiz schon längst Realität werden sollen. Denn bereits 1945, also vor 53 Jahren, legten über 70 Prozent der Schweizer Männer ein Ja für eine in der Verfassung verankerte Mutterschaftsversicherung in die Urne. In der Zwischenzeit wurden verschiedene Versuche abgeschmettert: 1984 blitzte etwa die Mutterschutzinitiative ab und 1987 wurde eine Vorlage des Bundesrates abgelehnt. Nun hat Bundesrätin Ruth Dreifuss erneut eine Vorlage vorgelegt, um in der Schweiz eine Mutterschaftsversicherung einzuführen. In allen europäischen Ländern ist sie längst eine Selbstverständlichkeit. Die am 7. und 8. Oktober im Nationalrat zur Diskussion stehende Mutterschaftsversicherung sieht Leistungen für alle Mütter vor, unabhängig davon, ob sie erwerbstätig sind oder nicht. Der Ständerat hat im Juni mit knapper Mehrheit beschlossen, die Mutterschaftsversicherung mit Einnahmen aus der Mehrwertsteuer zu finanzieren. Im Nationalrat wird von CVP und Linken aber erneut der Vorschlag gemacht werden, die Mutterschaftsversicherung zunächst aus der gut dotierten Erwerbsersatzordnung zu finanzieren. Erst wenn diese Gelder in ein paar Jahren auf gebraucht sind, soll demnach die Mehrwertsteuer angezapft werden.