Anita Fetz Medien Echo.  
2003 Basels roter Stern
Viktor Parma, Sonntagsblick vom 11.Mai 2003
© Sonntagsblick

Basels roter Stern
Autor Viktor Parma über Anita Fetz, SP-Nationalrätin
Sie hat im Bundeshaus viele Neider. Im Moment mehr denn je. Der Grund: In der jüngsten Sondersession setzte Anita Fetz mehr Geld für Bildung und Forschung durch. Ihr Sieg überraschte alle. Jetzt toben die Sparpolitiker.
Sie verhält sich in der Bundespolitik wie eine gefährliche Raubkatze. "Panther", so Anita Fetz, "sind zäh, schnell und zielorientiert. Panther können lange warten, bis die Bedingungen für die Jagd optimal sind." Letzte Woche machte die Basler Pantherin nach langem Warten reiche Beute. Auf ihren Antrag beschloss der Nationalrat sechs statt vier Prozent Wachstum für Bildung und Forschung von 2004 bis 2007.
Jetzt stilisiert Anita Fetz ihren knappen Abstimmungssieg (80 zu 76) zum grossen Befreiungsschlag für die Linke empor: "Dieser Beschluss ist beim heutigen Spardruck eine Sensation. Er hat symbolische Bedeutung: Nicht die Krämerseelen sollen alles dominieren." Anita Fetz kann triumphieren. Die Krämerseelen protestieren. Der St.-Galler CVP-Nationalrat Felix Walker (68), der in der Märzsession eine für Finanzminister Villiger völlig unrealistische Sparmotion von sieben Milliarden Franken durchgeboxt hat, ruft in der Wandelhalle aus: "Anita Fetz? Ein Nummerngirl!" Wird er gefragt, wie das zu verstehen sei, lässt Walker auch persönliche Betroffenheit erkennen (siehe Box "Nummerngirl"). Fetz hat seine Motion als "Jobkiller" bezeichnet und für den Fall, dass sie umgesetzt wird, einen Verlust von 43 750 Arbeitsplätzen errechnet (die Hälfte davon in der Privatwirtschaft).
Fetz hat via Bildung die Sparpolitiker aus dem Konzept gebracht. Die Basler Sozialdemokratin bereitete ihren Coup sorgfältig vor. Sie gewann die Basler Pharmaindustrie für ihre Ziele und bildete mit bürgerlichen Mitstreitern eine Allianz. Sie säuselte, Bildung und Forschung sei "für die SP ein Kerngeschäft, weil wir wissen, dass unser anderes Kerngeschäft, die soziale Sicherheit, nur finanziert werden kann, wenn wir in die Zukunft des Landes und auch in die Wertschöpfung der Wirtschaft investieren".
Das sah die gleiche Anita Fetz freilich auch schon anders. Als Poch-Nationalrätin hatte sie in den 80er-Jahren die Forschung regelrecht gebrandmarkt. Die Forschung sei viel zu wirtschaftslastig und trage deshalb zu "Umweltzerstörung, Rüstungswahnsinn, Hunger, Imperialismus und Frauendiskriminierung" bei. Fetz kritisierte auch die europäische Integration als wirtschaftsfreundlich. Sie nannte den damaligen EG-Binnenmarkt "ein wirtschaftsstrategisches Konzept, um eine Wachstums- und Deregulierungspolitik einzuleiten" (1989). Heute fordert Anita Fetz den EU-Beitritt. Dennoch behauptet sie steif und fest: "Meine Überzeugungen sind die alten geblieben. Mein Kompass ist glasklar."
Sie nimmt für sich in Anspruch, sich nicht verändert zu haben. Das ist umso merkwürdiger, als sie von Berufs wegen seit 1986 auf die Unterstützung von Veränderungsprozessen in Betrieben und bei Menschen spezialisiert ist ("Change Management"). Die linke Unternehmensberaterin arbeitet für Microsoft, Novartis und UBS, für Radio und Fernsehen, WWF und Greenpeace, Gewerkschaften und Spitäler.
Anita Fetz will Feuer und Wasser versöhnen. Sie kann heute noch dem alten Poch-Schlagwort "Leben statt Profit" huldigen und im gleichen Atemzug behaupten, "ein recht unverkrampftes Verhältnis zum Geld und zur Wirtschaft" zu haben. Ihre Nähe zur Wirtschaft habe "sicher mit meiner Kindheit zu tun".
Sie wuchs in einem Familienbetrieb auf. Ihre Eltern hatten in Basel ein Radio- und Fernsehgeschäft. Der Vater schaute zur Technik, die Mutter zu Verkauf und Büro. Anita machte ihre Hausaufgaben in Mutters Büro schon früh mit Rechen- und Schreibmaschine. Ihre Lieblingsarbeit im Büro war das Stempeln von Couverts und in der Werkstatt das Einordnen von farbigen Elektroden in Kästchen. Ging das Fernsehgerät während eines spannenden Krimis kaputt, riefen die Kunden noch spätabends hemmungslos an. Anita bekam ein direktes Verhältnis zu Profit und Verlust: "Gingen die Geschäfte gut, assen wir Ende Monat im Restaurant. Gingen sie schlecht, gabs Suppe und Wurst." Später lief das Geschäft so gut, dass die Eltern kaum mehr Freizeit, dafür mehr Profit hatten. Die Familie wurde wohlhabend. Doch erlebte Anita "einen ersten Schatten davon, wie Leben und Profit in Widerspruch geraten können - mein Vater hatte zwei Herzinfarkte, dafür konnten sich meine Eltern durch den Verkauf des Geschäfts schon vor 60 von der Arbeit freikaufen und wieder Zeit fürs Leben investieren".
Die selbständig erwerbenden Eltern erzogen auch ihre Tochter zur Selbstständigkeit. Anita erlitt mit 13 eine Art Kulturschock, als sie mit ihrer Familie von Basel-Stadt nach Baselland umzog. "Ich geriet in eine rückständige Kultur hinein." Jetzt musste sie sich für ihre Selbstständigkeit wehren. Am Progymnasium kämpfte sie gegen das Verbot, Hosen und Shorts zu tragen. Sie stachelte ihre Mitschülerinnen zu gemeinsamen Protestaktionen auf. Anita beschimpfte einen Lehrer, der ihr eine Ohrfeige verabreichte. Zur Strafe wurde sie von der Schule ausgeschlossen.
Die angehende Studentin der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte kämpfte weiter. 1975 war sie bei der Besetzung von Kaiseraugst dabei. 1980 wurde sie Geschäftsführerin der Organisation für die Sache der Frau (Ofra). und stürmte an der 1.-Mai-Kundgebung mit andern Ofra-Frauen das Podium. Prompt erhielt sie wieder einmal eine Ohrfeige verpasst, diesmal von SP-Präsident Helmut Hubacher persönlich. Die SP war ihr damals nicht allzu sympathisch. Fetz trat den Progressiven Organisationen (Poch) bei. Die Feministin stritt dann allerdings auch mit den Poch-Genossen, die als gute Marxisten den Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit hervorhoben und die Frauenfrage demgegenüber als Nebenwiderspruch hinstellten. "Ich sagte immer: Wir Frauen sind die personifizierten Hauptwidersprüche."
Die junge Kämpferin, die 1984 zur Gross- und 1985 zur Nationalrätin aufstieg, wollte politisch und wirtschaftlich auf eigenen Beinen stehen. Sie gründete 1986 ihre Unternehmensberatungsfirma femmedia ChangeAssist. Das Geschäft lief so gut, dass sie 1990 total überlastet und ausgebrannt war. Jetzt musste sie zwischen Firma und Politik wählen. Sie entschied sich fürs Geschäft und schied aus dem Nationalrat aus. 1995 war sie beruflich wieder so weit, dass sie in die Politik zurückkehren konnte. Allerdings hatten sich die Poch inzwischen aufgelöst; Fetz trat in die SP ein. Sie konnte an ihre alte Popularität anknüpfen und schaffte 1999 ihre Comeback als Nationalrätin.
Seitdem wirbt sie im Bundeshaus für Lösungen nach Basler Art, wie sie sagt: "Basel war und ist beispielsweise Trendsetter in Drogenfragen und Ausländerintegration." Basler Interessen vertrat sie bei der Lancierung der Swiss 2001 wie auch auch in der Bildungsdebatte der jüngsten Sondersession: "Der Erfolg meines Antrags gegen die Kürzung des Forschungskredits wäre nicht möglich gewesen, hätten nicht alle Basler hinter mir gestanden." Ihr Erfolg kam im richtigen Moment. Sie wird übermorgen Dienstag von der SP Basel-Stadt zur Ständeratskandidatin nominiert. Doch vertritt sie nicht Basler Interessen allein. Sie vertritt eine Art Politik, die andernorts mit System in Verruf gebracht wird. Christoph Blocher sagt: Miteinander gehts schlechter. Anita Fetz sagt das Gegenteil: Miteinander gehts besser. "In Basel redet man noch miteinander." Anita Fetz will auch für die SP "eine mehrheitsfähige Bündnispolitik organisieren".
Sie redet ihrem Publikum ins Gewissen: "Haben wir nicht alle etwas resigniert vor ökonomischem Zeitgeist und Rendite-Denken? Machen wir es uns nicht zu einfach, wenn wir nur die Abzocker-Manager anprangern und die Nase rümpfen über die gestaltungsschlaffen Politiker? Nach dem Motto: ich bin zwar nicht für diese schleichende Entsolidarisierung, aber jetzt schau ich halt auch einfach für mich. Schliesslich reden alle von der Ich-AG." Sie fällt sich selber ins Wort: "Nein, das darf nicht sein. Eine andere Welt ist möglich."
Anita Fetz hat in ihrer Karriere mehr Wandlungsfähigkeit bewiesen, als sie selber wahrhaben will. In Worten predigt sie unverdrossen "Leben statt Profit". In Taten bejaht sie Leben und Profit. Anita Fetz handelt noch klüger, als sie ohnehin spricht.
Anita Fetz über ...   «Nummerngirl»
... Micheline Calmy-Rey:
Die urbane Schweiz ist im Bundesrat endlich stärker vertreten.
Anita Fetz ist eine begnadete Selbstdarstellerin. Sie hat unheimliches Flair dafür, was in der medialen Öffentlichkeit gerade gefragt ist. In Wirklichkeit lautet ihre Devise: Gut ist, was mir nützt. Ihre Behauptung, meine Motion zur Sparpolitik werde soundso viele Arbeitsplätze kosten, grenzt an Verantwortungslosigkeit. So einfach ist die Welt nicht, wie sie da vorgibt. Ihr Stil mag bei einem Nummerngirl angehen, doch frage ich mich, ob wir so im Parlament noch Gesamtverantwortung wahrnehmen können.
Nationalrat Felix Walker (CVP/SG)
... Ruth Metzler:
Schade, lässt sie sich beim Asyl von rechts so sehr unter Druck setzen. Sie sollte sich am Zürcher Stadtrat ein Beispiel nehmen. Das wäre ihre Traumrolle.
... Felix Walker:
Ein Politiker von vorgestern.

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